Volkswehr im Holzland

 

Unter Volkswehr wurden im Allgemeinen militärisch organisierte, bewaffnete Verbände verstanden, die – wie schon der Name zum Ausdruck bringt – der Volkssouveränität unterstanden.

Seine Wurzeln hat der Volkswehrgedanke in der Französischen Revolution, als im Bedarfsfall die Nationalgarde mit aufgebotenen Bürgerwehren aufgestockt wurde.
 
Die Volkswehr entsprach im Wesentlichen der während der Märzrevolution herausgebildeten Organisationsform. Mehrere Volkswehrentwürfe wurden in der Frankfurter Nationalversammlung und in der preußischen Nationalversammlung eingereicht. Zum Beispiel die „Charta Waldeck“ vom 26.07.1848 und der Entwurf zu einem Wehrgesetz auf den Grundlagen der Gemeindeordnung vom 10.08.1848.
 
Die Forderung nach einer Volkswehr, die mit Bürgerwehren nichts zu tun hatte, weil sie auf einer vollkommen anderen ideologischen Basis und daraus resultierend einem völlig anderen Staatsverständnis beruhte, nämlich jenem der Volkssouveränität, tauchte aus der Arbeiterbewegung, aber auch vereinzelt aus dem Militär auf.
 
Zwischen November 1848 und Februar 1849 kam es daher zu mehr als 300 Militärgerichtsverfahren. In Pillau (ehemals Preußen, heute Baltijs) wurden vier Offiziere zu drei Jahren Festungshaft verurteilt, weil sie einen entsprechenden Antrag an die Nationalversammlung unterzeichnet hatten. Zu den bekanntesten Offizieren, die für die Volkswehr eintraten, gehörte auch Wilhelm Rüstow. Auf Drängen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. wurde er am 06.08.1850 in Abwesenheit schließlich zu 31,5 Jahren Festungshaft verurteilt.
 
In seinem im Dezember 1849 erschienen Buch „Der deutsche Militärstaat vor und während der Revolution“ untermauert Rüstow die Idee einer Volkswehr, die er im Schweizer Exil mit anderen zusammen u. a. Emil Rothpeltz in der Schweizer Armee umsetzen konnte.
 
In Deutschland und Österreich wurde die Idee der Volkswehren von Monarchen und oberen Militärs auf das Entschiedenste bekämpft und verfolgt sowie erforderliche Heeresreformen aus Furcht davor verschleppt. Schließlich gehörte das Militär zu den Königsrechten, von denen man nichts an das Volk abtreten wollte.

Als Deutsche Revolution von 1848 / 49 (bezogen auf die erste Revolutionsphase des Jahres 1848 auch Märzrevolution genannt) wird das revolutionäre Geschehen bezeichnet, das sich zwischen März 1848 und Spätsommer 1849 im Deutschen Bund ereignete. Im Vordergrund standen nationale Einheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen gegen die zahlreichen Herrscherhäuser.

In den deutschen Fürstentümern nahm die Revolution ihren Anfang im Großherzogtum Baden und griff innerhalb weniger Wochen auf die übrigen Staaten des Bundes über. Sie erzwang die Berufung liberaler Regierungen in den Einzelstaaten (die sogenannten Märzkabinette) und die Durchführung von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung.

Nach den anfangs rasch erkämpften Erfolgen, wie zum Beispiel: Aufhebung der Pressezensur, und Bauernbefreiung, geriet die revolutionäre Bewegung ab Mitte 1848 zunehmend in die Defensive.
Auch die vor allem im Herbst 1848 und bei der Reichsverfassungskampagne im Mai 1849 neu aufflammenden Höhepunkte der Erhebungen, die regional bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahmen, konnten das Scheitern der Revolution nicht mehr aufhalten.
Bis Juli 1849 wurde der erste Versuch, einen demokratisch verfassten, einheitlichen deutschen Nationalstaat zu schaffen, von überwiegend preußischen und österreichischen Truppen mit militärischer Gewalt niedergeschlagen.

Am 12.03.1848 trat in Klosterlausnitz ein Bürgerausschuss mit Deputierten aus Roda und Kahle zusammen. Es wurde über eine gemeinsame Sturmpetition für den Westkreis beraten. Im gleichen Tag wurde diese Petition im Eisenberger Schützenhaus vorgetragen und von 525 Bürgern unterzeichnet. Die Petition enthielt folgende Forderungen:

  1. Freiheit der Rede und Presse,
  2. allgemeine Volksbewaffnung,
  3. allgemeines Wahlrecht und
  4. allgemeine Wählbarkeit von Volksvertretern in die Nationalversammlung.
  5. Aufhebung der drückenden Fleisch- und Salzsteuern,
  6. Ausdehnung des Gesetzes über Auflösung der Frondienste auch auf Natural- und Erbzinsen

Im Holzland erfolgte die Aufstellung einer Bürgergarde. Die von „den Frauen und Jungfrauen von Klosterlausnitz der Volkswehr“ am 03.09.1848 gestiftete Fahne blieb erhalten.

Die Bürgergarde stellte an die Altenburger Staatsregierung die Forderung 300 Ackern (1 Altenburger Acker = 0.642 ha) herrschaftlichen Waldbodens zur Umwandlung in Ackerland zur Verfügung zu stellen.
Das Gesuch wurde begründet mit dem Ernährungsnotstand. Zur Ernährung einer Familie seinen 6 Acker Landes notwendig. Bei 1300 Einwohnern und 250 Familien seien somit 1500 Acker notwendig. 40 Familien sorgen zwar durch den Betrieb eines Handwerks selber für ihren Bedarf, aber 175 Familien wären auf die Handarbeit als einzige Nahrungsquelle angewiesen.

Die Dringlichkeit der Angelegenheit wurde zwar anerkannt, auch eine Prüfung wurde zugesagt, mehr ist aber nicht dabei herausgekommen.

Über die 1848er Revolution war Bäckermeister Gruner aus Hermsdorf nicht erfreut. Er sagte zu seinem Pflegesohn:

„Beteilige dich nicht daran, die Sache führt zu keinem Guten!“ Er scheint aber später eine andere Gesinnung bekommen zu haben. Hören wir, was die Henriette Beyer, geb. Hänseroth, damals erlebt hat: „1848 war Revolution. Da war alle Tage Tanz und der Jubel war groß. Eine Bürgergarde wurde zusammengestellt. Auf der Pechwiese an der Bockstraße wurde fleißig exerziert. Da sah die Wiese schwarz aus von Menschen. Die meisten Männer trugen hölzerne Flinten, der alte Bäcker war Hauptmann und trug einen Schleppsäbel. Meinen Bruder Karl machte man zu einem Unteroffizier, und der lange Petermann war auch etwas Großes. … Damals wurde viel Wild geschossen.“
 
Die Volkswehren tauchten erst wieder am Ende des 1. Weltkrieges im Rahmen der Novemberrevolution und der Münchner Räterepublik, als die monarchische Gewalt bei den Kriegsverlierern keinen Einfluss mehr hatte, wieder auf. Allerdings nur für kurze Zeit. Zunächst befürchteten die Siegermächte nämlich eine gewaltige Steigerung des Militärpotenzials der Kriegsverlierer durch die Volksbewaffnung und wollten daher einem naheliegenden Revanchekrieg schon von vornherein die Basis entziehen.
 
Anschließend war es dann der Faschismus, der sich als Platzhalter der monarchischen Systeme verstand und daher die Verfügungsgewalt über das Heer für sich und seine Führer beanspruchte. Auf diese wurden dann, wie etwa auf Adolf Hitler oder Francisco Franco, die Soldaten persönlich vereidigt. Bei der demokratisch-republikanischen Volkssouveränität kann es naheliegenderweise keinen persönlichen Eid geben, sondern ein Gelöbnis auf die Republik, wie es heute der Fall ist.

 
Volkswehr Fahne
 
OTZ vom 01.10.2013
 

Ein „vexillologischer Glücksfall“
Zwei Fahnen von 1848 in Ostthüringen wieder aufgetaucht

Im Jahre 1848 wurden in den Städten und auf den Dörfern des Herzogtums Sachsen-Altenburg Bürgergarden bzw. Sicherheitswachen gebildet. Fast alle diese auch als Wehrmannschaften und manchmal sogar Volkswehren bezeichneten Einheiten erhielten im Laufe des genannten Jahres eine eigene Fahne. Meist waren es die „Frauen und Jungfrauen“, die die recht einfachen, mitunter aber auch edlen Tücher stifteten. Der größte Teil der damals übergebenen Fahnen existiert heute nicht mehr; umso wertvoller sind die erhalten gebliebenen Exemplare.

Im zweiten Halbjahr 2013 tauchten in Ostthüringen zwei verschollen geglaubte Fahnen aus dem Jahre 1848 wieder auf, kurioserweise beide im September und beide im Saale-Holzland-Kreis. Die Fahne der Klosterlausnitzer „Volkswehr“ gelangte wieder zurück an ihren Ursprungsort und hat nun einen Platz im Heimatmuseum „Altes Sudhaus“ der Kurgemeinde unweit des Hermsdorfer Kreuzes gefunden. Seit Ende September können die Besucher dieses Exponat, das sich leider in einem etwas desolaten Zustand befindet, dort betrachten. Die 165 Jahre alte Fahne fand über die alten Bundes-länder kurz zuvor den Weg zurück nach Bad Klosterlausnitz. Die Frage, wie sie vor vielen Jahren in die Hände von Gerhard Serfling gelangte, ist unklar. Es wird vermutet, dass dieser sie im Rahmen eines Tauschgeschäftes erworben hat. Während eines Besuches der Gemeinde überreichte Herr Serfling das historische Stück dem ortsansässigen Leitermacher Friedrich Triemer und dieser übereignete es dem Museum als Schenkung. Im Gegensatz zu den meisten Bürgergardefahnen zeigt die Klosterlausnitzer als Hauptfarben nicht Schwarz-Rot-Gold sondern Dunkelgrün und Weiß. Grün-Weiß oder auch Weiß-Grün waren die Landesfarben Sachsen-Altenburgs. Lediglich die Fransen sind im deutschen Dreifarb gehalten. Das Tuch trägt die goldene Aufschrift „Von den Frauen & Jungfrauen der Volkswehr zu Klosterlausnitz den 3. Sept. 1848“. Zwischen den Zeilen ist außerdem ein kleiner hellgrüner Eichenzweig zu sehen.

Die Fahne der Wehrmänner von Großeutersdorf, einer kleinen Gemeinde südlich von Jena, galt ebenfalls seit Jahrzehnten als verschollen. Alle Bemühungen, etwas über das Schicksal und den Verbleib des Tuches zu erfahren, blieben lange Zeit ohne Erfolg. Im Jahre 2000 hatte die Gemeinde  sogar eine Wiederbeschaffungsprämie ausgesetzt. Nach einer routinemäßigen Eingabe der Wörter „Fahne Großeutersdorf“ durch den Verfasser dieses Beitrages bei Google am 30.09.2013 erschien an zweiter Stelle plötzlich ein Verweis auf das Stadtmuseum Gera mit Angaben zur Fahnengröße, Inventarnummer usw. Bei der tags darauf erfolgten telefonischen Rücksprache mit Herrn Matthias Wagner vom Stadtmuseum bestätigte dieser das Vorhandensein der Fahne im Magazin-Bestand. Dieser Umstand ist besonders erfreulich, hatte doch noch eine im Jahre 1998 an alle Thüringer Museen ergangene Suchmeldung kein positives Ergebnis erbracht. Auch diese Fahne ist nicht gerade im besten Erhaltungszustand, aber immerhin noch recht ansehnlich. Martha Trinckler, die Witwe des Pfarrers, hatte sie 1947 auf dem Dachboden des Großeutersdorfer Pfarrhauses entdeckt und dem damaligen Bürgermeister übergeben. Dieser verwendete die Fahne dann einige Zeit bei Wahlen, Versammlungen usw. zur Ausgestaltung des Raumes.

In den fünfziger Jahren verloren sich dann ihre Spuren. Jetzt endlich konnte zumindest noch ermittelt werden, dass die Fahne laut Eingangsbuch im Jahre 1961 an das Stadtmuseum Gera übergeben worden war, von wem, bleibt allerdings ein Rätsel. Die Großeutersdorfer Fahne ist schwarz-rot-gold, hier aber in umgekehrter Reihenfolge. Sie trägt die von zwei goldenen Eichenzweigen beseitete, aufgemalte goldene Inschrift „Den Wehrmännern von den Frauen u. Jungfrauen Großeutersdorf´s 1848“.

Jens Hild (Bürgermeister und Chronist Großeutersdorf bei Jena)

 
 
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